Die meisten der hier beschriebenen Aktionen bilden eine Situation, in der eine Gruppe von Menschen von den Veranstaltern dazu aufgefordert wird, an einer ihnen nicht bekannten Handlung teilzunehmen. Alles, was in einer derartigen Situation geschieht, lässt sich unterscheiden in das empirische Geschehen und in das Geschehen in der Sphäre des Psychischen, oder anderes gesagt: in das Erleben dessen, was während einer Aktion im Sichtfeld der Teilnehmer vor sich geht, und dessen, was einer solchen Aktion vorangeht beziehungsweise sie begleitet.
Da uns bei unserer Arbeit gerade der Bereichdes Psychischen, des »Inneren« interessiert, ist eine besondere Aufmerksamkeit für alle möglichen Vor-Ereignisse notwendig, für das, was an den »Rändern« des Demonstrations-»Feldes« einer Aktion geschieht. Das Demonstrationsfeld selbst weitet sich und wird zum Gegenstand der Betrachtung: Wir versuchen darauf Zonen zu entdecken, die über bestimmte Eigenschaften und Wechselbeziehungen verfügen. Diese Eigenschaften und Relationen wirken, wie wir meinen, auf die Formung der Wahrnehmungsstufen ein. Auf einer dieser Stufen kann das Geschehen als ein »inneres«, »innerhalb« eines sich befreienden Bewusstseins, erlebt werden. Dies ist die allgemeine Aufgabe der Aktionen. In konstruktiver Hinsicht besteht die Aufgabe allerdings darin, nicht willkürlich den Rahmen der unmittelbaren Wahrnehmung, auf deren Basis sich praktisch jede Aktion entfaltet, zu verlassen.
In diesem Zusammenhang verändert sich natürlich auch das Verhältnis zu den Sujets der Aktionen. Ihr mythologischer oder symbolischer Inhalt ist unwichtig (jedenfalls in der Intention der Veranstalter), das Sujet wird – als konstruktives Element – zur Herstellung jener »inneren« Wahrnehmungstufe nur wie ein Instrument benutzt.
Dennoch zieht jede beliebige Handlung im Demonstrationsfeld, wie minimal sie auch sei, eine Interpretation nach sich, und über die erste metaphorische Schicht des Demonstrationsfeldes selbst legt sich eine zweite, nämlich dann, wenn der Zuschauer nachzudenken beginnt, was diese oder jene Handlung bezeichnet, und wenn er schließlich deren mythologischen oder sonstigen Inhalt »entdeckt«. Allerdings sind einige Aktionen so konstruiert, dass sie auch einen Interpretationsprozess einschließen (»Interpretierbarkeit« als solche): Während ihrer Realisierung stellt sich die psychische Notwendigkeit ein, sie zu »interpretieren« in Form eines definitiv gerichteten (und, wie die Veranstalter wissen, falschen) Verstehens. In der Regel wird während der Aktion eine ausgedehntere Interpretation ausgeschlossen. Anschließend jedoch ist sie unumgänglich, und da die Aktionen normalerweise sehr kurz sind, kann beim Teilnehmer der Eindruck entstehen, dass er dieses »Mythologische« während der Zeit der Handlung entziffert hat. Das Problem der freien Interpretation ist von prinzipieller Bedeutung. Wir verstehen die freie Interpretation als Demonstrationsposition des »äußeren Betrachters«. Auf ihr, und nur auf ihr, befindet sich zum Beispiel der Leser der Beschreibungstexte. Es gibt jedoch einige Verfahren, um die Ausprägung einer solchen Position während der Aktion selbst und – vor allem – einige Zeit nach deren sichtbarem Abschluss zu verhindern. Eines dieser Verfahren ist die Einführung eines außerdemonstrativen Elements, dessen Wirkung den Erlebniszustand verlängert und den Eindruck eines zeitlich unbestimmten Endes der Aktion erweckt. Die Einführung eines solchen außerdemonstrativen Elements in die Demonstrationsstruktur und dessen Verlauf während der Demonstration nennen wir im Folgenden »leere Handlung«.
Damit den Zuschauern klar wird, dass ihr Bewusstsein in die Konstruktion eines Ereignisses einbezogen wurde (beziehungsweise in die Vorbereitung zu einem Akt der Selbsterkenntnis), und damit sie – in der verstehenden Erinnerung – erkennen, dass ihr Bewusstsein während des unmittelbar vorhergehenden Geschehens ein Demonstrationsobjekt für einen physisch nicht anwesenden »äußeren Betrachter« war, führen wir die leere Handlung ein.
Wir haben die »leere Handlung« hier als ein allgemeines Prinzip definiert, doch findet sie in jeder Aktion ihren ganz besonderen Ausdruck. Sie kann als ein bestimmter Zeitabschnitt der Aktion verstanden werden, in dem die Zuschauer, wenn man so sagen darf, »angespannt nicht verstehen« oder »nicht richtig verstehen«, was vor sich geht. Vorgreifend merken wir an, dass die Akte oder Ereignisse, mittels derer die »leere Handlung« realisiert wird (Erscheinen, Verschwinden, Sich-Entfernen, Zweiteilung etc.), Bedingungen zur Meditation auf der Stufe der unmittelbaren Wahrnehmung schaffen und zu deren Thema werden.
Für einen zentralen Aspekt der Demonstrationsstruktur halten wir die Relation von Objekthaftigkeit und Subjekthaftigkeit in der Dynamik ihrer Wechselbeziehung. Der Leser wird ohne Mühe feststellen können, dass die Bewegung der Figuren und Objekte in den hier beschriebenen Aktionen hauptsächlich in einer geraden Linie – nach zwei Richtungen – verläuft: entweder von den Zuschauern fort oder zu ihnen hin. In unserem Kontext ist diese Bewegung zu verstehen als Bewegung auf »Wahrnehmungslinie«, die Bestandteil des Demonstrationsmodells ist.
So sind sämtliche Figuren und Handlungsetappen der Aktionen eine »Bleistiftspur«, die die Ränder, Zonen und Relationen des leeren (reinen) Demonstrationsfeldes umzieht und die von den Teilnehmern und Veranstaltern einer Aktion im Verlauf ihrer Realisierung »abgeschritten« wird. Wir möchten hier kurz beim Demonstrationsfeld selbst verweilen, in allgemeinen Zügen einige seiner Etappen, Zustände und Strukturen beschreiben und uns dabei besonders auf die Eindrücke der Teilnehmer konzentrieren.
Das erste Erlebnis des zuschauenden Teilnehmers, der zu einer Aktion eingeladen wurde, lässt sich als Zustand der Erwartung definieren. Bis zum Beginn des Ereignisses auf dem empirischen Feld wird dieses »Feld« der Erwartung mit allen möglichen Vorgefühlen und Vermutungen angefüllt. Je »unbekannter« das in der Einladung angekündigte Ereignis ist, desto weniger konkrete Form nehmen diese Vorgefühle und Vermutungen an. Die Tendenz dieses Erlebniszustandes ist derart, dass bei Reduktion seiner Konkretheit auf ein Minimum das Feld der Erwartung praktisch bis zum unmittelbaren Beginn der Handlung leer bleibt. […]
Wenn das Feld der Erwartung leer ist, dann wird die eigentliche Erwartung als psychisches Erlebnis konzentriert und als fast genügender (vor-genügender) Zustand empfunden. Es entsteht der Eindruck, die Handlung habe schon begonnen, während in Wirklichkeit derjenige, der diesen Zustand durchlebt, noch nicht einmal an dem Ort angelangt ist, von wo er die Handlung wird sehen oder hören können.
Wir benutzten zwei Mittel zur Schaffung dieses Voraus-Eindrucks, den man Vor-Erwartung nennen kann. Erstens war das die Form der Einladung (beziehungsweise der vorhergehenden Instruktion), zweitens waren das die raum-zeitlichen Besonderheiten der Reise zum Ereignisort. Wir werden im Folgenden als Feld der Vor-Erwartung ein solches psychisches Feld bezeichnen, das noch nicht – vermittels des Sichtfeldes – an jenes reale (empirische) Feld angeschlossen ist, auf dem man vermutlich irgendein Ereignis sehen wird.
Das Demonstrationsfeld definieren wir vorläufig als die Gesamtheit psychischer, visueller und empirischer Felder, in die sowohl die dem eigentlichen Ereignis vorhergehenden als auch die nach diesem fortdauernden Erlebnisse und Ereignisse eingeschlossen sind.
Die verschwommenen raum-zeitlichen Grenzen der Vor-Erwartung gewinnen an Profil in den härteren räumlichen und zeitlichen Konturen der nun schon eigentlichen Erwartung, wenn die zuschauenden Teilnehmer aus dem Wald auf das offene leere Feld kommen. Das wird unterstützt durch eine einfache Instruktion der Art: »Hier passiert es.« Es soll nun etwas ausführlicher auf dieses reale Feld eingegangen werden. In einer derartigen psychologischen Situation wird es vom Zuschauer unbedingt und unbewusst mit dem Epitheton »leer« versehen. Das reale Feld kann braun, grün, eben, uneben und so weiter sein, doch es ist völlig klar, dass in diesem Moment seine Haupteigenschaft für einen Menschen, der die Vor-Erwartung durchlebt hat und nun gerade die Erwartung erlebt, die »Leere« ist.
Das Erleben dieser »Leere« des realen Feldes und das fortdauernde Erleben der Erwartung als eines leeren Feldes fallen zusammen. Das reale Feld wird metaphorisiert und kann in einem bestimmten Moment als Fortsetzung des Feldes der Erwartung wahrgenommen werden, wobei es Eigenschaften annimmt, die normalerweise psychischen Feldern angehören: »Unsichtbarkeit«, Nicht-Objekthaftigkeit, »innere« Lage. Man kann feststellen, dass gerade die freie Weite eines realen Feldes von ziemlich großen Ausmaßen – wenn das Sichtfeld und mit ihm das Feld der Erwartung sich frei in den Raum hinein entfalten – einen Speicherungseffekt für eine ziemlich lange Dauer konzentrierter Erwartung erzielt.
Hier entsteht das Problem, diesen Zustand nicht durch den groben Einbruch eines Objekts oder Ereignisses in das Sichtfeld zu zerstören. Wie wir schon sagten, ist es nicht unsere Aufgabe, den Zuschauern etwas zu »zeigen«. Die Aufgabe besteht darin, den Eindruck der Erwartung als eines wichtigen, bedeutungshaften Ereignisses zu erhalten. Wenn die Vor-Erwartung jedoch ihre Auflösung in der Erwartung erfordert, was ja auch eintritt, dann erfordert die Erwartung ihrerseits ihre Auflösung in irgendeinem neuen Erlebnis, sie erfordert notwendigerweise den Beginn der Handlung. Hier kommt es darauf an, dass dabei der Bewusstseinszustand einer Befreiung von der unmittelbaren Sphäre alltäglicher Wahrnehmung erhalten bleibt. Dieser Zustand entstand ja als Resultat dessen, dass man das Bewusstsein an der Peripherie des Demonstrationsfeldes entlanggeführt hat. Es kommt also nun darauf an, so auf dieses Bewusstsein einzuwirken, dass es nicht in seinen Ausgangszustand vor der Vor-Erwartung zurückfällt, sondern dass dieser ihm inhärente befreite Zustand beim Wahrnehmen völlig realer Ereignisse erhalten bleibt.
Zur Lösung dieser Aufgabe (wir beziehen uns hier auf eine bestimmte Gruppe von Aktionen: Erscheinung, Komödie, Variante 3, Bilder, Ort der Handlung benutzten wir das Verfahren der allmählichen Hervorhebung des Wahrnehmungsobjekts (der Figur eines der veranstaltenden Teilnehmer) aus dem Unsichtbaren – über eine Zone der Ununterscheidbarkeit – in die Zone der Unterscheidbarkeit (in der empirischen Dimension des Demonstrationsfeldes).
Und dennoch – wenn wir bisher das Erlebnis reiner Erwartung hatten, so verwandelt sich nun, beim Auftauchen des Wahrnehmungsobjekts auf dem realen Feld, dieses Erlebnis. Es wird unterbrochen, und es beginnt ein Prozess angestrengten Schauens, begleitet vom Wunsch zu verstehen, was dieses Objekt bedeutet. In unserer Sicht stellt diese neue Wahrnehmungsetappe eine Pause dar. Es ist zwar eine notwendige Etappe im Wahrnehmungsprozess, auf keinen Fall jedoch das Ereignis, um dessen willen all dies arrangiert wurde. Wir fügen gleich hinzu, dass die Handlung selbst nur durchgeführt wird, um den »Blick abzulenken«. Die Natur der Erwartung erfordert es, dass wir diese Wahrnehmungsetappe realisieren, ein Verzicht darauf ist im Rahmen der gestellten Aufgabe nicht möglich. Man kann jedoch die Wahrnehmung »betrügen«, das heißt diese Etappe zwar realisieren, anschließend aber zu verstehen geben, dass »während der Zeit, als alle in eine Richtung schauten, das Hauptereignis an einem ganz anderen Ort geschah« – in unserem Fall im Bewusstsein der Zuschauer selbst.
In diesem Zusammenhang ist ein spezifischer Aspekt zu erläutern, nämlich: Das Ereignis geschah – im Moment des Begreifens, dass dieses »Schauen« ein »Schauen in die falsche Richtung« war, ist das Hauptereignis schon geschehen, man kann sich im gegenwärtigen Moment nur daran erinnern, doch man kann es nicht mitverfolgen, weil in der Zeit, in der es ablief, das Bewusstsein mit etwas anderem beschäftigt war.
Was aber geschah eigentlich? Wenn das, was auf dem realen Feld geschah, »falsch« ist – hinsichtlich welcher Wahrhaftigkeit wird diese Falschheit begriffen, worauf verweist sie? Wir sind während dieser Demonstrationsetappe offensichtlich von einem recht großen Erwartungs-»Feld« umgeben, wir haben uns in dessen Tiefe begeben, befinden uns nun in beträchtlicher Entfernung von den Rändern, und wir sind nun völlig in uns selbst verkapselt – weil das, was eigentlich demonstriert wurde, unsere Wahrnehmung war und weiter nichts. Diese reine Erwartung ist das, was eigentlich geschah, und zwar ist es eine abgeschlossene Erwartung. Sie ist abgeschlossen, es ist nicht das geschehen, was wir erwartet hatten, nicht irgendein konkretes Ereignis, dort, vor unseren Augen, sondern ebenjene Erwartung wurde abgeschlossen und ist geschehen. Mit anderen Worten: Die Pause der Wahrnehmung des Objekts wurde mit ebenderselben Erwartung beendet, doch verläuft diese nun schon auf einer anderen Wahrnehmungsstufe und wird während ihres Ablaufs nicht als solche wahrgenommen. Sie ist nur in der Erinnerung an sie – zu einem bestimmten Zeitpunkt der Aktion – erlebt worden. Nach diesem Zeitpunkt wird der Abschluss der Handlung (der Fortgang der Figuren vom Feld) ganz unmittelbar, außerhalb seiner Bedingtheit wahrgenommen – auf einer Ebene mit den Bäumen, dem Gras, dem Zuschauer selbst: Er ist entmetaphorisiert.
In diesem Zusammenhang mache man sich klar, dass das reale »Handlungsfeld« erneut zum »leeren« Feld wird, schon bevor der veranstaltende Teilnehmer es verlassen hat. Als Ergebnis einer bestimmten Handlung der veranstaltenden Teilnehmer wird dieses Feld erneut als ein »leeres« metaphorisiert – es entsteht darauf ein Ort beziehungsweise eine Ebene sozusagen »gehobener Leere«, mit der das erinnernd-verstehende Bewusstsein der Zuschauer in eine metaphorische Verbindung tritt. Das geschieht, obwohl der veranstaltende Teilnehmer nach diesem Handlungsmoment gleichsam auf das empirische Feld »springt«, obwohl er – immer noch in der empirischen Zone des Demonstrationsfeldes befindlich – schon nicht mehr als ein nach einem bestimmten Plan demonstriertes Objekt wahrgenommen wird. Er ist jetzt einfach ein Mensch, der sich entfernt und im Wald verschwindet, genauso wie er anfangs einfach ein Mensch war, der in der Ferne aus dem Wald auftauchte.
Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass wir in diesem Vorwort nur einen, an der Oberfläche gelegenen Teil der gesamten Situation betrachten, den Teil, der »für die Zuschauer« mehr oder weniger mit ästhetischen Problemen in Verbindung steht. Ihr innerer Sinn, der mit dem hauptsächlichen Ziel der Aktionen zusammenhängt – nämlich eine gewisse geistige, und zwar im Wesentlichen nicht zeichenhafte, Erfahrung zu machen – und der eine reale Bedeutung nur für die auf dem Feld agierenden Veranstalter besitzt, soll hier nicht behandelt werden.
Um eine derartige Situation zu schaffen, dürfen also die Objekte und Bewegungsfiguren (wie wir bereits sagten, handelt es sich gewöhnlich um eine gerade Linie vom Wahrnehmungsobjekt zum Subjekt oder umgekehrt, um eine »Linie« der Subjekt-Objekt-Relation) keine eigenständige Bedeutung besitzen, es darf gewissermaßen nichts »darauf geschrieben sein« über das hinaus, dass die Figuren der veranstaltenden Teilnehmer eine Bedeutung eben nur als »Teilnehmer« gegenüber den »Zuschauern« haben. Und wenn ein Gegenstand verwendet wird, dann darf dies lediglich zur Schaffung gewisser Wahrnehmungsbedingungen geschehen, etwa um Unsichtbarkeit oder den Eindruck von Isoliertheit und so weiter herzustellen.
Wie wir bereits feststellten, vollzieht sich das Erscheinen des Wahrnehmungsobjekts in unseren Aktionen von der Unsichtbarkeit über die Ununterscheidbarkeit, was eine gewisse visuelle Akkommodation seitens des Wahrnehmenden erfordert. Dieses Verfahren ermöglicht es, die psychische und die empirische Zone des Demonstrationsfeldes aufeinander abzustimmen.
Nach dem Erscheinen einer Figur entfaltet sich also ein gewisses »falsches« Ereignis in der Zone der »Unterscheidbarkeit«, und am Ende steht die deutliche Trennung in 1) das empirische Ereignis, verlagert in den Bereich des Unmittelbaren nach dem Moment, wo die Zuschauer begreifen, dass die Handlung falsch, »leer« war, und in 2) das psychologische Ereignis, das Erleben einer abgeschlossenen Erwartung.
Zum Zeitpunkt dieser Unterscheidung reißt sich das Bewusstsein mit Gewalt von der Konkretheit seiner Erwartung los. Anders gesagt: Die über die Erinnerung abgeschlossene Erwartung ist die in ihrer Konkretheit aufgehobene Erwartung. Die Erinnerung wird also in dieser Situation ebenfalls zu einer psychischen Zone des Demonstrationsfeldes. Dieser Moment lässt sich folgendermaßen beschreiben: Die Wahrhaftigkeit der Handlung endete in dem Moment, als das Wahrnehmungsobjekt aus der Zone der Ununterscheidbarkeit in die Zone nicht direkter Wahrnehmung (direkter Wahrnehmung im Sinne der Wahrnehmung eines Gegenübers) trat. Die Manipulation seitens der veranstaltenden Teilnehmer in der Zone der Unterscheidbarkeit war notwendig, um die Authentizität der Handlung in der Vergangenheit zu belassen, ohne sie in die Gegenwart zu holen. »Sie endete zu dem und dem Zeitpunkt, damals«, aber nicht: »Sie endete jetzt gerade.« Wir haben nur jetzt erst davon erfahren. Im Zwischenraum zwischen dem »Damals« und dem »Jetzt« wurden wir betrogen, doch »jetzt« hat man uns das gesagt. Dieser Zwischenraum zwischen dem »Damals« und dem »Jetzt« ist die Distanz (in unserer Erinnerung) zwischen unserer Erwartung und uns. Wir »schauen« von hier aus darauf, nun schon im Zustand des »Nichtbetrogenseins«, wir sind befreit vom Selbstbetrug in einer seiner konkreten, in der Zeit sich entfaltenden Ausdrucksweisen. Auf die Erwartung zu »schauen«, heißt im Kern, Erwartung zu erleben als Erwartung einer vollzogenen Befreiung von sich selbst. Wahrscheinlich ist es die Ungewöhnlichkeit dieses Erlebnisses unter den Demonstrationsbedingungen (obwohl das nicht unbedingt genau so wie hier beschrieben bewusst zu werden braucht, ja gar nicht bewusst werden soll), die das Gefühl entstehen lässt, dass das Versprochene eingetreten ist, dass kein »Betrug« dabei war.
In streng ästhetischem Sinne könnte man die hier vorgestellten Aktionen charakterisieren als Versuche, die Wahrnehmung gewöhnlichen Erscheinens, Verschwindens, Sich-Entfernens, die Wahrnehmung gewöhnlichen Lichts, Klangs und so weiter ungewöhnlich zu machen.
Juni 1980
(Übersetzung: Günter Hirt und Sascha Wonders)
Aus: Günter Hirt und Sascha Wonders (Hrsg.), Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat, mit Multimedia-CD, Bremen: Edition Temmen 1998